Anleihen als Alternative zu Tagesgeld
Tagesgeld und Festgeld sind einfach, aber nicht immer die beste Wahl. Anleihen bieten oft eine höhere Rendite und gegenüber letzteren sind sie sogar liquider.
Beim Thema Finanzen sind pauschale Antworten immer mit Vorsicht zu genießen. Früher war 60:40 eine gerne gewählte Aufteilung des eigenen Portfolios in Aktien und Anleihen, also 60% in Aktien und 40% in Anleihen. Heute scheint 100:0 die häufigere Aufteilung zu sein. Als Begründung dafür kann angeführt werden, dass Aktien auf lange Sicht in der Vergangenheit eine höhere Rendite erzielt haben. Das mag für die letzten 100 Jahre auch der Fall gewesen sein, bei kürzeren Zeiträumen hatten aber durchaus auch mal Anleihen die Nase vorn. Es gab eine Zeit, in der die Aufteilung 60:40 geeignet war, und eine andere, in der alles für 100:0 sprach. Welche Zeit haben wir heute?
Es gab und gibt allerdings auch keine Verpflichtung, nur zwischen 60:40 oder 100:0 auszuwählen. Vielmehr ist jede Kombination denkbar, 30:70, 50:50 oder andere. Es lohnt sich nicht, pauschal über geeignete Aufteilungen zu diskutieren, weil die Zukunft in den meisten Fällen anders als die Vergangenheit sein wird. Ganz abgesehen davon, dass es viel mehr Anlageklassen als Aktien und Anleihen gibt. Wann immer deshalb solche Faustformeln als Vorschlag für die zukünftige Geldanlage genannt werden, gibt es nur eine sinnvolle Antwort: Warum? Um aber selbst zu einer Einschätzung zu gelangen, welcher Anteil des Vermögens in der aktuellen Situation in Anleihen investiert werden sollte, gilt es, sich näher mit der Anlageklasse der Anleihen zu beschäftigen.
Wenn eine Bank aktuell Geld bei der EZB parkt, bekommt sie dafür den Leitzins gutgeschrieben. Es ist bedauerlich, dass nicht einfach der Leitzins abzüglich eines Abschlags an alle Kunden weitergegeben wird. Auf Girokonten gibt es fast nie Zinsen und selbst auf Tagesgeldkonten liegt der Zins in der Regel niedriger und ist häufig an zusätzliche Bedingungen geknüpft. Ein Blick auf Anleihen lohnt sich deshalb nicht nur für Anleger, denen die Einlagensicherung nicht ausreicht.
Anleihen sind leicht zu verstehen
Auf den ersten Blick ist eine Anleihe ein leicht verständliches Produkt: Der Käufer einer Anleihe gibt dem Emittenten einen Kredit für eine vorgegebene Laufzeit, erhält während dieser Zeit einen bestimmten Zins und nach Ablauf hoffentlich sein Geld zurück. Der Zins muss daher neben der Entschädigung für den zeitweisen Verzicht auf das Geld und die Geldentwertung durch Inflation noch eine Kompensation für das Risiko des Ausfalls des Emittenten enthalten.
Selbstverständlich gibt es viele verschiedene Arten von Anleihen, darunter auch besicherte, bei denen der Gläubiger im Falle einer Zahlungsunfähigkeit auf ein Sicherungspfand zurückgreifen kann. Aufgrund dieser Sicherheit ist der Zins für diese Anleihen üblicherweise niedriger. Ebenso gibt es Anleihen, bei denen die Inflation ausgeglichen wird: Sowohl der Zins als auch der Rückzahlungsbetrag werden an die Inflation angepasst. Das gleicht zum einen den größten Nachteil von Anleihen aus, weil die Rückzahlung eben nicht nominal und dadurch von der Inflation entwertet ist. Zum anderen kann aus den unterschiedlichen Preisen von regulären und inflationsgeschützten Anleihen eine Erwartung des Marktes für die Inflation abgeleitet werden.
Bei Erwerb einer Anleihe gilt es bei „normalen“ Anleihen zunächst, nur die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Zahlungsunfähigkeit einzuschätzen. Bei Anleihen von Unternehmen ist diese in der Regel höher als bei Staatsanleihen. Als Ausgleich bieten Unternehmensanleihen einen höheren Zins, und ob Alphabet tatsächlich eher zahlungsunfähig wird als einige westliche Staaten, ist nicht einfach zu beantworten. Dennoch bieten sich für den Einstieg Staatsanleihen an. Die Märkte dafür sind groß und zusätzlich emittieren die Staaten permanent neue Anleihen, um alte abzulösen und neue Schulden aufzunehmen. Für jede Laufzeit sind deshalb meistens genügend Wertpapiere in Umlauf, um die gewünschte Anleihe kaufen zu können.
Der Kurs bildet sich am Markt
Üblicherweise verkauft ein Staat nicht einfach eine Anleihe mit einer bestimmten Laufzeit und einem definierten Zins, sondern er versteigert sie. Der Anteil einer Anleihe mit einem Nennwert von 100 Euro, einer Laufzeit von einem Jahr und einem Zins in Höhe von 4,5% kann also durchaus 99,90 Euro oder 100,10 Euro kosten. Entsprechend ist die Rendite bei einem Preis von 100,10 Euro 0,1% niedriger als der Zins, oder 0,1% höher, wenn die Anleihe für 99,90 Euro erworben wird.
Umgekehrt gilt das Gleiche: Steigt der Zins am Markt um 0,1%, sinken die Kurse der Anleihen um rund 0,1%; fallen die Zinsen um 0,1%, steigen die Kurse um rund 0,1% an. Alle Annahmen gelten allerdings nur für Anleihen mit genau einem Jahr Restlaufzeit. Dazu zählen also auch zehnjährige Anleihen, die vor neun Jahren ausgegeben wurden. Ist die Restlaufzeit länger, verstärkt sich der Effekt, im anderen Fall verringert er sich. Eine Heuristik dafür bietet die Multiplikation der Zinsveränderung mit der Restlaufzeit in Jahren. Beträgt diese 5 Jahre, führt eine Marktzinssenkung um 1% zu einem Kursgewinn der Anleihe in Höhe von ungefähr 5%.
Anleihen besitzen somit die Eigenschaft, Auswirkungen von Zinsveränderungen über die gesamte Laufzeit sofort im Preis zu reflektieren. Das spielt keine Rolle, wenn die Anleihe bis zur Fälligkeit gehalten wird, weil sich dieser Effekt dann ausgleicht. Wenn die Anleihe aber vor Laufzeitende verkauft wird, kann nach einer erfolgten Zinssenkung ein zusätzlicher Kursgewinn erzielt werden. Das bedeutet im Gegenzug aber auch einen Kursverlust, wenn die Anleihe nach einer Zinssteigerung verkauft werden muss.
Chancen und Risiken hängen am Zins
Die Höhe des Zinses hat damit eine doppelte Bedeutung für die Attraktivität von Anleihen: Der Zins beeinflusst neben der aktuellen Rendite gleichzeitig die zukünftige Veränderung. Wenn der Zins 0% beträgt, kann er nicht mehr viel tiefer fallen, aber deutlich höher steigen. Es gibt nicht nur keine Zinsen und eine Entwertung der Rückzahlung durch eine mögliche Inflation - bei steigenden Zinsen drohen zusätzlich Kursverluste beim vorzeitigen Verkauf. Bei einem Marktzins von 0% gibt es deshalb keinen Grund in Anleihen zu investieren, und viele Banken leiden aktuell unter ihren Positionen aus dieser Zeit.
Aktuell liegen die EZB-Zinsen für die Geldanlage über Nacht bei 2,25% für EUR und bei 4,4% für USD bei der FED. Interessanterweise liegen die Zinsen für längere Laufzeiten darunter. Besonders wichtig ist dafür der Unterschied zwischen den 10-Jahres- und 3-Monats-Zinsen. Diese Differenz ist sowohl in Europa mit 0,58% als auch in Amerika mit 0,07% positiv. Das war noch vor einem Jahr anders, als bei deutlich negativ waren. Das kommt nicht häufig vor und bedeutet, dass der Anleihemarkt von sinkenden Zinsen aufgrund einer Rezession ausgeht. Gefallen sind die Zinsen auch schon ein wenig, aber die Rezession ist noch nicht da. Diese Annahme ist aber nicht in Stein gemeißelt, sondern lediglich die Einschätzung des Marktes. Ebenso könnten die Zinsen auch steigen, weil Zahlungsausfälle durch steigende Verschuldung wahrscheinlicher werden.
Eine Rezession mit sinkenden Zinsen wäre jedoch ein gutes Szenario für Anleihen mit längerer Laufzeit: neben sinkender Inflation würden die Kurse steigen, und das umso stärker, je länger die Restlaufzeit ist. So falsch kann es daher nicht sein, einen Teil des Vermögens in Anleihen anzulegen. Je nach Risikobereitschaft können die Laufzeiten variiert werden. Wer kein Risiko möchte, wählt eine Euro-Anleihe für gut 2% (nach Kosten über Nacht) mit der Hilfe von Geldmarktfonds, also Laufzeiten unter einem Jahr. Etwas mehr Rendite und Risiko bieten amerikanische Geldmarktfonds für fast 4% nach Kosten. Der USD ist in diesem Szenario Chance und Risiko zugleich.
Das Risiko hängt an der Laufzeit
Noch mehr Risiko gibt es mit längeren Laufzeiten, die bei einer Zinssenkung direkt über den Kurs partizipieren. Die Chancen dafür könnten aktuell die vorhandenen Risiken überwiegen. Die Rendite ist zwar niedriger, aber zum einen haben die Regierungen aufgrund ihrer hohen Verschuldung kein Interesse an höheren Zinsen, zum anderen leidet die Wirtschaft bei der Refinanzierung unter höheren Zinsen. Klar ist aber, dass sich niemals jemand nur für eine Variante entscheiden muss. Ein Großteil der Anlage könnte in Geldmarktfonds geparkt werden, je nach Höhe des Vermögens mit einer passenden Aufteilung in Euro und US-Dollar.
Bei all dem muss beachtet werden, dass Anleihen kein passives Investment für die nächsten Jahre darstellen. Solange die Zinsen auf dem aktuellen Niveau verbleiben, besteht kein Handlungsbedarf. Steigende Zinsen sind für Geldmarktfonds sogar angenehm, während bei längeren Laufzeiten Kursverluste begrenzt werden sollten.
Fallende Zinsen dagegen machen Geldmarktfonds unattraktiver, und ab einem gewissen Punkt sind sie nur noch für die notwendige Liquiditätsreserve akzeptabel. Die Kursgewinne bei Anleihen mit längeren Laufzeiten müssen irgendwann realisiert werden, weil die Zukunft ab diesem Punkt zu wenig Rendite bringt. Gerade die aktuelle Marktsituation bestätigt damit einmal mehr, dass eine „Über“-Rendite nur aktiv zu erzielen ist.