Die Zeitenwende bei der Geldanlage
Die Höhe der kurzfristigen Zinsen hat einen großen Einfluss auf die Wirtschaft. Der große Trend der letzten 40 Jahre wird sich nicht wiederholen.
Beim Thema „Finanzen“ könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht. Obwohl die historischen Zeitreihen über die Performance beliebiger Anlageklassen länger und länger werden, ist das bei weitem noch nicht genug. Die alleinige Fokussierung auf die Renditen der Anlageklassen reicht nicht aus. Sie sind immer nur das Ergebnis des Zusammenspiels vieler verschiedener Einflussfaktoren, die sich in ihrer Gänze und Wechselwirkung überhaupt nicht vollständig erfassen und bewerten lassen. Welche Schlüsse lassen sich aber dann aus der Vergangenheit ziehen, um für die Gegenwart und die Zukunft gerüstet zu sein?
Jeder Anleger hat verschiedene Möglichkeiten, um sich eine Vorstellung über die zukünftige Entwicklung einer Anlageklasse zu machen. Er kann sich an den durchschnittlichen Renditen der Vergangenheit orientieren oder Zeitpunkte in der Vergangenheit suchen, in denen das wirtschaftliche Umfeld vergleichbar mit der aktuellen Situation war. Der Fokus auf Durchschnittsrenditen lässt sich mit passivem Investieren über lange Zeiträume umsetzen, während die Orientierung an der allgemeinen Situation einen makroökonomischen Ansatz mit aktivem Investieren erfordert.
Langfristige, passive Investitionen werden häufig als die generell glücklich machende Strategie für alles und jeden angesehen. Aber wenn es ums Geld geht, lohnt es sich, solche „Allgemeinplätze“ zu hinterfragen. Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Kontext sind sie gültig? In diesem Fall: Warum funktioniert die Orientierung an der Durchschnittsrendite aus der Vergangenheit zukünftig wahrscheinlich nicht mehr?
Nach dem Volcker-Schock
In den letzten gut 40 Jahren sind Zinsen, von ein paar Ausnahmen abgesehen, permanent gefallen. 1980 war der letzte große Anstieg, als die Zinsen in den USA zwischen 10% und 22% schwankten („Volcker-Schock“). Nachdem die FED sie die längste Zeit der letzten 15 Jahre auf 0% gesetzt hatte, liegen sie aktuell bei gut 5%. Theoretisch besteht damit jetzt die Möglichkeit, dass sie auf 0% fallen – oder aber sie steigen weiter, nachdem sie jetzt seit fast einem Jahr stabil sind. Auf alle Fälle bilden die aktuellen Preise der Vermögenswerte den vor gut einem Jahr erfolgten Zinsanstieg noch nicht ab.
Die Zinsentwicklung der vergangenen 40 Jahre hatte für jeden Kreditnehmer zur Folge, dass seine Liquidität durch die Anschlusskredite deutlich besser wurde. Er konnte sich zum einen mit günstigeren Zinsen refinanzieren und zum anderen sanken die Annuitäten aufgrund der schon erfolgten Tilgung. Der Wert der beliehenen Vermögenswerte war gestiegen und weitere Liquidität konnte durch zusätzliche Kredite gewonnen werden. Es war eine gute Zeit, Vermögenswerte auf Kredit zu kaufen und damit reich zu werden.
Insgesamt hat die Inflation in Amerika das Preisniveau in den letzten gut 40 Jahren nicht einmal vervierfacht, ist also schon fast zu vernachlässigen. Aber die amerikanischen Schulden standen 1980 bei unter einer Billion USD, während es heute fast 35 Billionen USD sind. Preisbereinigt haben sie sich verneunfacht. Dagegen sind die Unternehmensschulden von Nicht-Finanzunternehmen von nur einer Billion USD auf knapp 14 Billionen gestiegen, nach Inflation immerhin das 3,5-fache. Der S&P 500 stieg sogar von gut 100 Punkten auf fast 5.500 Punkte, also wesentlich stärker und abzüglich der Inflation auf das 13,75-fache. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im Gegensatz dazu nur von rund 3 auf 28 Billionen USD gestiegen, etwas unter dem zehn-fachen Wert und bereinigt um die Preise weniger als das 2,5-fache.
Einfaches Fortschreiben ist gefährlich
Die genannten Entwicklungen klingen nicht außergewöhnlich, und es erscheint durchaus möglich, dass sich die Wirtschaft in den kommenden Jahrzehnten erneut so entwickelt. Aber nur, wenn man die Zahlen isoliert betrachtet. Dann läge das BIP irgendwo bei rund 260 Billionen USD, und die amerikanischen Schulden ständen bei 1.225 Billionen USD. Würde der S&P 500 das Bruttoinlandsprodukt dann wieder mit Faktor 5,5 übertreffen und auf 300.000 Punkten stehen? Was würde das bedeuten?
Zu Beginn standen die Schulden bei rund 30% des BIP. Heute stehen die Schulden bei 125% des BIP. Wiederholt sich diese Entwicklung, wären die Schulden mit rund 500% des BIP ganz sicher nicht mehr tragfähig. Gleiches gilt für die Marktkapitalisierung aller Aktien und ihrem Verhältnis zum BIP. Diese stand 1980 bei 40%, aktuell liegt sie bei über 200%. Sollte die Marktkapitalisierung wirklich auf 1.000% ansteigen, wäre wirklich jeglicher Bezug zum BIP verloren.
Letztlich hängt das BIP jedoch mit dem Umsatz der Unternehmen zusammen, aus dem sie ihre Gewinne realisieren müssen. Der Gewinn der Unternehmen wiederum bestimmt deren Marktwert, aus dem sich der Preis seiner Aktie errechnet. Wer eine Aktie kauft, bekommt als Gegenwert alle zukünftigen Zahlungen aus dem Unternehmen. Wenn sich die Marktkapitalisierung erhöhen soll, müssen deshalb die Unternehmen entweder Umsatz oder Marge erhöhen. Oder die Anleger sind bereit, einen höheren Preis für die gleichen Gewinne der Zukunft zu bezahlen. Ob das alleine ausreicht, eine weitere Steigerung vom heutigen Niveau aus zu begründen, ist fraglich.
Die ausstehende Korrektur
Zugegebenermaßen ist diese Prognose eine von vielen möglichen Entwicklungen und ihr Eintreten kann auch nicht vollständig ausgeschlossen werden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist dennoch außerordentlich gering, zumal die Zinsen als Unterstützung wegfallen. Läge der Staatshaushalt immer noch im Bereich von 20% des BIP, reichte ein Zinssatz von gut 4% aus, damit der Haushalt komplett für Zinszahlungen verbraucht würde. Darüber hinaus erlaubt auch die Unternehmensverschuldung keine erneute Erhöhung im historischen Umfang.
Außerdem dürfen die Fundamentaldaten des Marktes nicht ignoriert werden. Die Zukunft wird etwas anderes sein als die bloße Fortschreibung der Vergangenheit. Deshalb ist es nicht sinnvoll, sich nur auf Durchschnitte oder Erfahrungen der Vergangenheit zu konzentrieren. Die zweite Option muss die richtige sein. Fundiertes aktives Investment wird passives schlagen und ohne Verständnis der Zusammenhänge wird es keinen nachhaltigen Erfolg bei der Geldanlage geben.
In den nächsten Jahren wird das Marktumfeld noch rauer werden. Es wird darauf ankommen, bei welchen Fundamentaldaten sich die größten Abweichungen zu einfach fortgeschriebenen Entwicklungen ergeben. Aus diesen Situationen ergeben sich Chancen, welche die Basis für gute Renditen bilden. Sicherlich werden sich irgendwo im Markt Probleme zeigen, die heute schon latent vorhanden sind. Welcher Sachverhalt am Ende den Ausschlag zu einer Neubewertung gibt, spielt keine Rolle. Ebenso wenig, wann dies der Fall sein wird: Ein langfristiger Anleger mit einem Zeithorizont von mindestens zehn Jahren positioniert sich den Chancen und Risiken entsprechend.
Was ist der langjährige Durchschnitt?
Zunächst muss jeder für sich selbst entscheiden, ob die Bewertungen wieder zurück in Richtung des langfristigen Durchschnitts kommen werden. Sollte das der Fall sein, ginge das einher mit einer deutlich geringeren Rendite als in der Vergangenheit. Nur bei weiter steigenden Bewertungen könnte die Rendite tatsächlich an die aus der Zeit seit 1980 heranreichen. Bei „nur“ gleichbleibender Bewertung wäre die Rendite damit irgendwo zwischen beiden Varianten, im Ergebnis jedoch ebenfalls niedriger.
Der ersten Möglichkeit die höchste Wahrscheinlichkeit zuzubilligen ist sicherlich eine vernünftige Entscheidung. In der Folge sollte die Gewichtung von Aktien in der Vermögensaufteilung geringer als üblich sein. Wer einen Anlagehorizont von zehn Jahren oder länger hat, macht damit keinen Fehler. Trotzdem kann es sein, dass es kurzfristig zu weiteren Kursgewinnen am Markt kommt, der Trend also weiterläuft. In dem Fall kommt es zu entgangenen Gewinnen, die sich aufgrund der Annahme korrigieren werden. Wer aus Angst etwas zu verpassen darauf spekulieren will, kann das tun.
Denn niemand weiß, über welchen Zeitraum sich eine ausstehende Korrektur erstrecken wird. Es kann im nächsten halben Jahr durch einen Crash passieren oder durch eine langfristige Seitwärtsbewegung der Kurse über mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte. In beiden Fällen wird die Rendite im Aktienmarkt enttäuschen. Der einzige Unterschied ist, dass Investoren nach einem Crash wieder Bewertungen vorfinden, zu denen sich ein Einstieg lohnt, was bei einer langjährigen Seitwärtsbewegung erst am Ende wieder der Fall sein wird.
Für die Anleger, die vor einer Investition in ein Unternehmen gründlich analysieren, spielen solche Überlegungen keine Rolle: Die Situation jedes einzelnen Unternehmens kann deutlich vom Marktdurchschnitt abweichen. Wenn eine Bewertung attraktiv ist, ist die Perspektive für die Rendite ebenfalls eine andere. Die Zukunft spricht daher mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen den Markt im Ganzen und damit die passive Anlage in ETFs. Dagegen wird die aktive Geldanlage in Aktien weiterhin ihre Berechtigung haben und kann gute Renditen liefern. Das erfordert aber die Bereitschaft, selbst aktiv zu werden. Als Alternative bleibt die Reduzierung der Gewichtung von Aktien in der Vermögensaufteilung, bis die Bewertungen wieder eine deutlich bessere Rendite für die Zukunft erwarten lassen.